Alles außer gewöhnlich: Musical „Fast normal“ (Next To Normal“) am Theater Baden-Baden, 22.10.17

Bild: Fast Normal am Theater Baden-Baden (Jochen Klenk/PR)Es gibt gefühlt nichts, was man heute nicht mehr zum Musical machen könnte. Wo anfangs nur singende Katzen („Cats“), Züge („Starlight Express“) und das namensgebende „Phantom der Oper“ über die Bühne fegten, tun dies mittlerweile auch diverse Untote („Tanz der Vampire“, „Ghost – das Musical“) oder auch mehr oder weniger lebendige Musik-Größen (mein größter Lacher bei der Recherche: „Wahnsinn! Das Musical mit den Hits von Wolfgang Petry“). 

Doch was ist eigentlich mit dem echten, ungeschönten Leben? Dem Alltag, der so gar nichts gemein hat mit der Disney-Glitzerwelt von „The Beauty and the Beast“ oder „Aladdin“? Der nicht rockt, wie das Queen-Musical „We Will Rock You“ oder Udo Lindenbergs „Hinterm Horizont“, und auch nicht in fremde Welten entführt wie „Der König der Löwen“ oder „Tarzan“? Unter diesem Aspekt ist „Fast Normal“ („Next To Normal“) in seiner „Normalität“ geradezu ein Exot!

„Fast Normal“ („Next To Normal“) feierte in Baden-Baden Premiere

Die noch junge Produktion, die nach der deutschen Erstaufführung 2013 in Fürth am 21.10.2017 am Theater Baden-Baden Premiere feierte, ist mitten heraus aus dem Leben gegriffen – und sie richtet den Fokus entsprechend auch auf all die dunklen Seiten, Abgründe sowie Hochs und Tiefs, die nun einmal dazu gehören. Denn, mal ganz ehrlich: Wer lebt schon in einer Hollywood-RomCom oder einem Zeichentrickfilm? Das mit drei Tony Awards und sogar einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Musical „Fast Normal“ (Musik: Tom Kitt, Buch & Texte: Brian Yorkey, deutsche Übersetzung Titus Hoffmann) thematisiert überraschend realitätsnah die große Kluft, die durch einen tragischen Verlust innerhalb einer Familie entstehen kann.

Bild: Fast Normal am Theater Baden-Baden (Jochen Klenk/PR)Ein Musical über die tragischen Seiten des Lebens

Wo anfangs noch alles in Ordnung erscheint, tun sich im Verlauf des Geschehens immer größer werdende Risse auf, bis schließlich das komplette Kartenhaus ineinander zusammenfällt. Zu den Themen, die „Next To Normal“ (so der Originaltitel) einkreist, gehören Depressionen mit suizidalen Tendenzen und eine Borderline-Erkrankung. Drogenmissbrauch und Entfremdung. Das verzweifelte Klammern an Liebe(n), die mal mehr, mal weniger vergangen scheinen. Realitätsverlust. Wer wirklich die tragische Figur in dem gespiegelten Personengefüge ist, lässt sich am Ende nicht mehr sagen. Nur eines ist klar: Ein Happy End gibt’s hier für niemanden!

Musical „Fast normal“: schwer Stoff, sensibel umgesetzt

Unter der Regie von Ingmar Otto, den man unter anderem als Intendanten und Regisseur am Kammertheater Karlsruhe kennt, sowie der musikalischen Leitung von Hans-Georg Wilhelm nähert sich das Ensemble dem sensiblen Stoff mit Feingefühl. Anders als zum Beispiel in „Bodyguard – Das Musical“, in dem die Musik eine zusätzliche Handlungs- und vor allem Bedeutungsebene einzieht, spielt sich bei „Fast Normal“ alles in den Songs selbst ab, die von einer Live-Band begleitet werden. Es gibt kaum Sprechszenen und wenig Tanz. Das heißt, sogar der Beipackzettel der Medikamente und der Ablauf der teils sehr rabiaten Therapiesitzungen werden gesungen! Das mag auf den ersten und auch zweiten Blick irritieren und ungewohnt erscheinen, schafft aber auch eine gewisse Distanz zu dem, was man als Zuschauer erlebt. Angesicht der Tragik, die die Geschichte transportiert, ist das vielleicht nicht verkehrt! 

Ensemble ist stimmlich angeschlagen, gibt aber sein Bestes

Bild: Fast Normal am Theater Baden-Baden (Jochen Klenk/PR)

Etwas mehr ins Gewicht fällt da schon die aktuelle Erkältungssaison, die das Ensemble zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt erwischt. Nikolaj Alexander Brucker alias Gabe Goodman wird durch Oliver Liebl von der Volksoper Wien sogar komplett vokal gedoubled, weil er eine Stimmbanderkrankung hat und nicht singen darf, so gern er auch wollte. Doch auch die anderen Sängerinnen und Sänger ringen teils mit deutlichen Intonationsschwierigkeiten und dem Timing. Dass der Funke dennoch auf die meisten Zuhörer im Theater Baden-Baden überspringt, ist ihrem großen Engagement zu verdanken. Man merkt: Die Beteiligten versuchen trotz grippalem Infekt wirklich alles zu geben. Und man drückt ihnen die Daumen, dass die späteren Vorstellungen am Theater Baden-Baden wieder mit voller Kraft über die Bühne gehen können. 

Wann läuft „Fast Normal“ am Theater Baden-Baden und wer spielt mit? 

Vorstellungstermine „Fast Normal“ am Theater Baden-Baden

  • Sa 28.10.2017, 20:00 Uhr
  • Sa 04.11.2017, 20:00 Uhr
  • So 12.11.2017, 15:00 Uhr
  • Mi 29.11.2017, 20:00 Uhr
  • Do 30.11.2017, 20:00 Uhr
  • Fr 01.12.2017, 20:00 Uhr
  • Fr 08.12.2017, 20:00 Uhr
  • Sa 30.12.2017, 20:00 Uhr

Cast & Leitung „Fast Normal“

  • Musikalische Leitung: Hans-Georg Wilhelm
  • Inszenierung: Ingmar Otto
  • Bühne und Kostüme: Steven Koop
  • Choreografie: Moira Fetterman
  • Diana Goodman: Nadine Kettler
  • Dan Goodman: Oliver Jacobs
  • Gabe Goodman: Nikolaj Alexander Brucker (am Premieren-Wochenende gesungen von Oliver Liebl)
  • Henry: Dimetrio-Giovanni Rupp
  • Dr. Fine/Dr. Madden: Berth Wesselmann

Artikel: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de
Fotos: Jochen Klenk / PR