„Dickes B, oben an der Spree …“ – Rückblick auf den Berlin Marathon 2014

Berlin Marathon - umdrehen wäre ja jetzt auch blöd! Fotos: B. + E. ReznicekEin wenig habe ich mich von Anna Hahner zu diesem Beitrag inspirieren lassen. Die Sportlerin, die beim Berlin Marathon 2014 als 7. und somit beste europäische Frau durchs Ziel ging (übrigens lachend, wie sie schon die ganze Strecke über unterwegs war), hat ihren Lauf auf Facebook in Zahlen zusammengefasst. Ich treibe diese Idee auf die Spitze: 42,195 km. 42 sehr subjektive Eindrücke. Viel Spaß beim Lesen!

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Mein 1. Marathon. Und dann gleich in Berlin. Schon die ersten Meter mit Blick auf die Siegessäule sind der Knaller. Whoohoo!

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Zwei Paar Laufschuhe hatte ich im Handgepäck. Man weiß ja nie, ob der bestens eingelaufene Lieblingsschuh in der Nacht vor dem Event plötzlich auseinanderfällt. 😉

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Drei Monate Training, das mich teils körperlich an meine Grenzen brachte, vor allem aber mein Zeitmanagement auf einen harten Prüfstand stellte.

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Vier Jahre, nachdem ich zum 1. Mal meine Laufschuhe geschnürt habe, laufe ich meinen ersten Marathon. Früher konnte ich übrigens kaum einen Kilometer am Stück rennen …

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Die ersten 5 Kilometer vergehen wie im Flug. Wetter gut. Stimmung bestens. Und voll im Zeitplan.

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Sightseeing. Bundeskanzleramt und später der Reichstag. Ok, das bekomme ich nur am Rande mit … aber nirgends bekommt man so viel zu gucken wie in Berlin.

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Auch 7 Tage danach habe ich es noch nicht richtig realisiert mit dem Berlin Marathon. Es gibt natürlich Bilder und Videos von mir beim Marathon, ich habe eine offizielle Medaille und Urkunde, ein Event-T-Shirt, liebe Glückwünsche aus der ganzen Welt (danke!), eine stolz geschwellte Brust und das Gefühl Bäume ausreißen zu können (solange ich nicht zum Wald hinjoggen muss, hahaha) … trotzdem ist das Ganze höchst abstrakt. Wie ein Traum, aus dem ich jeden Moment aufwachen könnte.

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Es sind viele bunte Vögel auf der Strecke unterwegs. Ein französischer Clown in voller Montur, der den Leuten an der Strecke gut gelaunt Sprüche wie „Durchhalten, Zuschauer! Ihr habt es bald geschafft!“ zuruft. Ein bayrischer Walker in Lederhose, der unterwegs seelenruhig Zeitung liest. Eine rosa Glitzerfee im Tutu und mit Zauberstab. Ein König mit Umhang und Zepter. Ja, später soll mir sogar Jesus begegnen! Er ist barfuss und mit einem riesigen Kreuz auf dem Rücken unterwegs. 42 km leiden – das wäre nichts für mich. Dann doch lieber die frohe Botschaft verkünden! Zum Beispiel diese: „Wo ein Wille, da ein Weg!“ Und das meine ich ganz buchstäblich.

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Es gibt zum ersten Mal etwas zu futtern. Ich laufe durch, denn ich habe noch alles dabei (Getränke, Datteln, getrockene Aprikosen, Riegel, Gel, Traubenzucker). Ziemlich viel, wenn man mal darüber nachdenkt. Andererseits ist es ja auch ziemlich weit …

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Der erste Zehner ist geschafft (immer noch im Zeitplan, der mich nach 4:29:59 h ins Ziel bringen soll). Ich freu mich über jeden Meter bei diesem Lauf und grinse weiter vor mich hin. Überall Zuschauer, die anfeuern und Party machen. Dazu viele richtig coole Bands.

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2011 bin ich in Stockholm meinen 1. Halbmarathon gelaufen. Das Event-Shirt ist zugleich mein Glücksbringer. Auch heute habe ich es an.

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Ich glaube, der Trainer von Anna Hahner hat den Satz geprägt: „Das Schlimmste hast du hinter dir. Denn 30 km bist du ja schließlich schon im Training gerannt. Was soll da jetzt noch schiefgehen!“

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Im August 2013, also vor rund 13 Monaten, ist mein Opa gestorben, der Zeit seines Lebens für Sport brannte, u. a. auch als Läufer. Ich bin mir sicher, dass er von oben zugeschaut und mir Kraft und Willensstärke mit auf den Weg gibt.

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Irgendwo zwischen Kilometer 13 und 14 treffe ich zum 1. Mal auf meine Eltern. Ich winke und freue mich, werde fotografiert, gebusselt und mit frischem, kühlem Wasser versorgt. Das pusht und macht einfach happy.

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Am Kottbusser Tor steht eine türkische Band und spielt traditionelle Musik. Auch mal schön.

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Neukölln ist gar nicht so abgerockt, wie man es als zugereistes Landei meinen könnte. 😉 Natürlich hat man rund um den Kotti für das Event „aufgeräumt“, aber weiter Richtung Kreuzberg wird es – subjektiv beurteilt – immer netter.

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Schild: „OMG. Naked runner behind you.“ Passt glatt zu einem anderen weiter hinten auf der Strecke: „Smile if you don’t wear underwear!“

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„Mein“ Kiez. Tach auch.

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Mir fällt ein lustiges T-Shirt einer Asiatin ein, das ich unterwegs gesehen habe. „Will run for chocolate“ stand auf dem über und über mit bunten Schokolinsen bedruckten Leibchen. Gutes Motto! So ein Shirt will ich auch! 😉

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Komme quasi an meinem Appartement in Kreuzberg vorbei. Abbiegen ist aber keine Option! 🙂 Am Tag davor stand ich bei KM 20 und habe die Skater angefeuert. Nun mache ich hier selber Strecke.

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Halbzeit. Mit gut 2:16:59 h bei der Halbmarathon-Marke liege ich nicht mehr im Zeitplan (2:14:40 h), aber das ist mir so etwas von egal. Hauptsache dabei sein, jeden Schritt und das unvergessliches Erlebnis genießen.

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Apropos Halbmarathon: Bei meinem ersten Halbmarathon in Stockholm 2011 war ich ganz allein vor Ort – dieses Mal sind meine Eltern als weltbestes Support-/Anfeuerungs-/Foto-/Flaschen-Anreich-Team angereist. Das macht es etwas greifbarer und realer, doch irgendwie ist und bleibt es abstrakt.

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In Schöneberg gibt’s seit Jahrzehnten eine Marathon-Balkonparty. Auch dieses Jahr geht da oben wieder der Punk ab und es wird gefeiert. I like!

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Warum singen Kraftklub eigentlich „Ich will nicht nach Berlin“? Ist doch ganz schön hier!

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Mal wieder ein Versorgungspunkt. Ohne die vielen, vielen ehrenamtlichen Helfer, die unter anderem hier mit anpacken, wäre eine Veranstaltung wie der Berlin Marathon undenkbar. Danke euch allen! Ihr habt diesen Tag zu etwas ganz Besonderem gemacht.

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Hier sollte ich eigentlich auf liebe Bekannte mit ihren Kids treffen. Leider verpassen oder übersehen wir uns (kein Wunder bei dem Trubel an und auf der Strecke). Trotzdem gibt der Gedanke, dass da jemand ist, der einen persönlich anfeuert und einem nur das Beste wünscht, viel Kraft.

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Durchlaufe zwischen KM 27 + 28 eine riesige Power-Bar Gel-Station. Ich schwöre auf die Gels von Aktiv3 (Kräuterhaus St. Bernhardt), die meines Wissens nach vegan und nicht so vollgepumpt mit künstlichem Scheiß sind, und lasse diesen Versorgungsstand entsprechend links liegend. Während ich über den klebrigen Asphalt stapfe, taucht mal wieder der Gedanke an all den Müll auf, der bei einem Event wie dem Berlin Marathon anfällt. Mit Blick auf die Umwelt eigentlich eine Katastrophe. Was also tun?

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Frei nach dem Songtitel „Gib mir Musik“ von Edo Zanki werfe ich meinen MP3-Player an. Wie so oft liefern mir Deichkind den Soundtrack zum Rennen.

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Unterwegs sehe ich häufiger Mitglieder des Jubilee-Clubs. Um aufgenommen zu werden, muss man zehn gefinishte Berlin Marathons nachweisen. Dann bekommt man unter anderem eine grüne Startnummer, mit der man unter den 40.000 Läufern gut zu erkennen ist.

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Betrete unbekanntes Terrain: mehr als 30 km bin ich im Training nie gerannt.

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Der Mann mit dem Hammer soll hier irgendwo unterwegs sein. Ich habe ihn zum Glück nicht getroffen.

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Noch zehn Kilometer. Das sollte machbar sein. Obwohl: zu sicher sollte man sich nie sein. Am Streckenrand stehen immer wieder Läufer mit Krämpfen. Die hatten sich den Berlin Marathon sicher auch anders vorgestellt.

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Meine Eltern. Mit Schild: „Umdrehen wäre jetzt aber auch blöd.“ Bekomme meine Flasche mit Kirsch-Apfel-Kokosnusswasser gereicht und den liebevollen Hinweis: „Es ist gar nicht mehr weit – nur noch 9 Kilometer. Gleich geschafft!“ Ich bin zwar nicht mehr zu tiefschürfender Kommunikation fähig, aber freue mich zumindest innerlich.

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Für den Kuh-Damm mit seinen Nobelboutiquen habe ich keinen Blick mehr. Heute werde ich nicht Shopping Queen, sondern Running Queen!

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Durchquere das riesige grün-weiße Holiday-Inn-Tor. Meine GPS-Uhr zeigt mittlerweile gut einen Kilometer mehr an. Egal. Das nächste große Tor ist schon das Brandenburger Tor. Nur noch 7 Kilometer.

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Bananen und Tee. Juhu. Und ein paar Schritte gehen. Ist es eigentlich noch weit?! Aua.

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Anna Hahner singt sich im Kopf Lieder für bestimmte Streckenabschnitte vor, ich halte es einfacher und zähle Laufschritte von 1 bis 8. Das hilft beim Fokussieren.

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Der Xaver könnte jetzt „Dieser Weg wird kein leichter sein“ in meinem Hirn nölen, aber zu derart musikalisch-ironischen Glanzleistungen bin ich mittlerweile nicht mehr im Stande. Denke dafür an das „Kill den Schweinehund-Mantra“, das mir meine Kollegin M. mit auf den Weg gegeben hat. „Selbst, wenn du denkst: ‚Scheiße, ich kann nicht mehr‘ – dann kannst du doch!!!! Du musst dir nur folgendes Mantra dreimal hintereinander sagen: ‚Ich bin eine Kampfsau und du Arschloch-Schweinehund kannst MIR gar NIX! Ich packe diesen Kilometer und den nächsten und den danach. Und wenn ich das nur wegen dem Zieleinlauffoto mache. Ich pack das!'“ Ich muss schmunzeln und trete dem blöden Köter in den Hintern.

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Apropos … der wohl lustigste und wahrste Spruch auf einem Streckenschild lautet: „Your feet are hurting so much, because you’ve been kicking ass all day!“

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So langsam lasse ich den Gedanken zu: Ich – komme – tatsächlich – ins – Ziel! Während die letzten Kilometer ein fortwährender Kampf zwischen Körper (ich mag nicht mehr, meine Füße tun weh, das ist viel zu weit) und Geist (NICHT stehen bleiben! Weiter geht’s! Gleich da!!!) waren und die diversen touristischen Hotspots wie der Potsdamer Platz einfach an mir vorbeizogen, nehme ich das Konzerthaus am Gendarmenmarkt wieder bewusst wahr. Die Sonne scheint. Der Platz ist voll mit Menschen. Das Gebäude ist hübsch anzuschauen. Und die letzten 2 Kilometer packe ich auch noch! Musik aus, alle Antennen auf Empfang. Here I go again!

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Das Brandenburger Tor. Phänomenal! Ich laufe durch seine Mitte, mein Herz hüpft, mein Puls rast. Ich bin ganz bei mir im Hier und Jetzt – aber irgendwie auch ganz weit weg. Erst Tage später, als ich mir in der Mediathek des RBB die Aufzeichnung des Rennens anschaue, werde ich mich wieder erinnern können, welche Linie ich an dieser Stelle gewählt habe.

42,195

Auf den letzten Meter kommt eine Liveschalte aus dem Besenwagen. Surreal, so kurz vor dem Ziel. Aber irgendwo stand ja auch auf einem der Banner: „Ihr seid alle Sieger!“ – egal ob Dennis Kimetto mit seinem neuen Weltrekord oder die Läufer, die es kurz vor Zielschluss nach 6:14:59 h über die magische Linie schaffen.Ich bin nach 4:43:15 h da. Happy, stolz und vollgepumpt mit Endorphinen. Mein erster Marathon. Besser hätte es buchstäblich nicht laufen können!